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Titel
Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald


Autor(en)
Bochsler, Regula
Erschienen
Zürich 2022: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
CHF 49.00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Monika Gisler, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Die Aufregung war groß, als Regula Bochsler im Herbst 2022 die Geschichte der Ems-Chemie vorlegte. Endlich sollte man erfahren, wie Christoph Blocher, Doyen der rechtskonservativen SVP, abgewählter Bundesrat und langjähriger Besitzer eben dieser Ems-Chemie, zu seinem Geld gekommen ist. Christoph Blocher spielt in der Schrift dann allerdings nur insofern eine Rolle, als seine Familie – mittlerweile ist seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher am Ruder – der Autorin Einsicht in das firmeneigene Archiv verweigerte. Am Ausgang von Bochslers Arbeit stand also eine umfangreiche Quellenrecherche, die sie in öffentliche und private Archive der Schweiz, zudem nach Deutschland, aber etwa auch nach Spanien und Argentinien führte, und schließlich in Material für ein fast 600-seitiges Buch resultierte.

Endlich also eine Unternehmensgeschichte der Ems-Chemie Holding AG. Dieser seit 1978 in der heutigen Struktur bestehende Konzern stellt gegenwärtig polymere Werkstoffe her. Bochsler interessiert sich jedoch für die ersten Jahrzehnte seines Bestehens, als die Ems-Chemie noch „Holzverzuckerungs-AG“ hieß und unter dem Firmengründer Werner Oswald (1904–1979) ab 1941 verschiedenste Erzeugnisse in die Welt brachte. Diese aber ließen aufhorchen. Bochsler zeigt mit aller Akribie, wie sich das Unternehmen von der Herstellung von alternativem Treibstoff über Kunstfasern zur Fabrikation von Raketen, dann Napalm und schließlich Waffen hangelte und dabei vor fast gar nichts zurückschreckte. Werner Oswald kannte kaum Skrupel, kooperierte mit ehemaligen Nationalsozialisten, bediente sich völkischer Ideologie und zeigte sich gegenüber dem Geschäft mit seinen produzierten Waffen aufgeschlossen. Das Unternehmen war dabei Familiensache, das Management lag in Werner Oswalds Händen, aber seine beiden Brüder taten mit: Rudolf Oswald, Jurist, und Victor Oswald, ein in Madrid lebender Geschäftsmann und Waffenhändler mit besten Beziehungen zum Franco-Regime, hielten Verwaltungsratssitze und Stimmrechtsaktien. Der Konzern, den sie aufbauten, war ein entsprechend raffiniert verschachteltes Konglomerat, das sich nicht scheute, auch staatliche Subventionen anzunehmen.

Mit viel Naivität ging Werner Oswald an neue Projekte heran, bewies oft ein gutes Händchen, stellte aber verschiedentlich auch Fehlentscheide an oder unterschätzte Komplexität und Kosten. Dabei wurde er über die Jahre zunehmend skrupellos, nahm, was passte, unabhängig von Herkunft und Hintergrund. Dafür baute er ein bedeutendes Netzwerk auf, das in Wirtschaft und Politik hinein- und über die Schweiz hinausreichte und auch vor ehemaligen Nazigrößen nicht haltmachte.

Das Unternehmen verdankt seine Gründung dem Umstand, dass die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs dringend auf Treibstoff angewiesen war. Der Agroingenieur Werner Oswald besaß das Patent für die Alkoholgewinnung aus Holzabfällen und erhielt 1940 den Zuschlag seitens des Bundesrats, im bündnerischen Ems eine Holzverzuckerungsanstalt zu errichten. Fortan sollte die „Hovag“ aus Holz Treibstoffzusätze – im Volksmund bald einmal „Emser Wasser“ genannt – herstellen, das dem Benzin beigemischt werden konnte. Der Bund garantierte feste Abnahme des Erzeugnisses, sicherte also die Erstattung der Gestehungskosten, zudem die Amortisation und die Forschungskosten zu. Das Unternehmen wurde folglich mit öffentlichen Geldern ins Leben gerufen, die erst 1956 – zahlreiche Bundesratssitzungen und Parlamentsdebatten später – aufgrund eines Volksentscheids eingestellt wurden. Bochsler macht aber auch deutlich, dass die Bilanz dieser ersten Produktionsphase – entgegen anderslautender Darstellung – wenig befriedigend war. So erreichte das Werk erst gegen Kriegsende die vertraglich vereinbarte Vollproduktion, einhergehend mit einer Kostenüberschreitung beim Erstellen der Anlage. Das überdimensionierte und unrentable Treibstoffwerk zwang Oswald schließlich, neue Produkte zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Zu diesem Zweck schmiedete er neue, mitunter unheilige Allianzen und schreckte auch vor Industriespionage nicht zurück.

Oswald musste sich nach dem Krieg also neu aufstellen. Er stieg in die Kunstfaserproduktion ein, entwickelte Raketen mit Flüssigtreibstoff und verkaufte Zünder. Für seine Geschäfte stützte er sich wiederholt auf Experten, deren Vergangenheit in der NSDAP sich eindeutig feststellen lässt. Diese waren nur allzu bereit, für den Schweizer zu arbeiten. Zu ihnen gehörte Ernst Fischer, ehemals Leiter der Mineralölabteilung im deutschen Reichswirtschaftsministerium und Vertrauter von Reichsmarschall Hermann Göring. Diese Zusammenarbeit wurde mit äußerster Diskretion behandelt, denn die Alliierten forderten Fischers Auslieferung – allerdings ohne Konsequenzen für den Nazi, der in der Schweiz unbehelligt blieb, auch dank Fürsprachen seitens Schweizer Politiker.

Für die Herstellung des unter dem Begriff „Grilon“ vertriebenen Nylon wiederum stellte Oswald auf Perlonspezialisten aus Ostdeutschland ab, darunter Johann Giesen, ehemaliger Direktor des I.G.-Farben-Werk im thüringischen Leuna. Giesen verantwortete während des Kriegs den Bau eines großen Chemiewerks in Auschwitz, wo Tausende von KZ-Häftlingen auf der Baustelle arbeiteten und zu Tode kamen. Auch für die Waffenproduktion setzte Oswald auf einen Deutschen, den Chemiker Heinrich Bütefisch, der nach dem Krieg zu sechs Jahren Gefängnis wegen Versklavung von Zwangsarbeiter:innen verurteilt worden war. Alle Genannten zogen weitere Wissenschaftler und Ingenieure nach sich, sodass der Erfolg der Hovag unzweifelhaft auch auf dem Know-how von Nazi-Experten aufbaute.

Das Werk produzierte wie gesagt einiges, unter anderem „Opalm“, eine Napalmvariante. Napalm besteht hauptsächlich aus Benzin, das mit Zusatzstoffen verdickt wird. Oswald konnte also direkt an seine Ersatztreibstoffproduktion anknüpfen. Vermarktet wurde es mit dem Slogan „Opalm übertrifft Napalm“; das Emser Napalm wurde als viel wirksamer als das seit dem Koreakrieg eingesetzte Napalm angepriesen. In der Schweiz ließ sich der Stoff allerdings nicht verkaufen, der Bundesrat entschied sich 1952 aus Kostengründen dagegen. Dies galt nicht für die portugiesische Armee, die dem mittlerweile als „Emser Werke“ auftretenden Unternehmen 1961 einen ansehnlichen Auftrag zukommen ließ. Sie sollte nicht die einzige Auftraggeberin bleiben, der Brandstoff soll auch in Indonesien und im Jemen zum Einsatz gekommen sein.

Bochslers Verdienst ist es, der in der Schweiz raren Unternehmensgeschichtsforschung ein wichtiges Buch beigefügt und dabei ein weithin bekanntes Unternehmen gründlich durchleuchtet zu haben. Erstmals Ende der 1990er-Jahre war der Konzern durch die Bergier-Kommission, die die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufarbeitete, unter die Lupe genommen worden. Bereits damals war deutlich geworden, dass die Hovag in der Nachkriegszeit Ex-Nazis beschäftigte. 2011 erschien dann die offizielle Firmengeschichte der Ems-Chemie, die – so macht Bochsler nur allzu deutlich – vor allem durch Lücken auffällt. Ob es damit zusammenhängt, dass diese Informationen nicht im Firmenarchiv – das Bochsler nicht zugänglich war – vorhanden sind oder ob heikle Aspekte absichtlich verschwiegen blieben, muss hier offengelassen werden. Sicher ist, dass Bochsler mit ihrer Schrift ein Forschungsdesiderat erfüllt, indem sie relevante Sachverhalte in der Geschichte des Konzerns aufdeckt, die bislang nicht bekannt waren, obwohl sie auch nach dem Ausscheiden Werner Oswalds aus dem Betrieb noch weitergetrieben wurden.

Die Kritik am Buch gilt denn auch nicht dem Inhalt, sondern der Narration. Bochsler schweift allzu oft ab, was zwar von Detailgenauigkeit zeugt, oft aber auf Nebengleise führt, deren Erkenntnisgewinn unklar sind und die das Buch an weiten Stellen mühsam zu lesen machen. Gleiches gilt für den ständigen Wechsel zwischen Präsens und Präteritum, der eine (vermeintliche) Nähe insinuiert, die jedoch weder nötig noch hilfreich ist.

Die Schrift endet in den 1960er-Jahren. Die Übernahme durch Christoph Blocher erfolgte 1983 durch den Kauf der Aktien der Oswald-Erben. Er übernahm damit die Leitung eines Unternehmens, in das er als Student 1969 eingetreten war, angeheuert durch Werner Oswald persönlich. Der Geschichte seines Betriebs will er sich bis heute nicht stellen. Umso verdienstvoller ist Regula Bochslers umfangreiche Recherchearbeit und die detaillierte Aufarbeitung des Quellenmaterials, die auch bislang weniger rühmliche Aspekte der Geschichte der Emser Werke öffentlich machen.

Redaktion
Veröffentlicht am
08.09.2023
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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